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Traumreise oder Ostsee umzu!

Mit dem Popo sitzen wir seit geraumer Zeit schon ein jeder auf seiner Scholle, aber der Geist kann immer noch auf Reisen gehen – auf eine weitere Traumreise. Dieses Mal rund um die Ostsee herum, mit einem gewaltigen Abstecher hinauf zum norwegischen Nordkap.
Hier ist das Anti-Corona-Programm, heute nehme ich Euch mit auf unsere Reise. Zehn Anrainerstaaten grenzen an das baltische Meer. Neun Länder davon werden wir besuchen. Mit der Bürokratie der Russischen Föderation gab es Probleme um unsere Visa, darauf hatten wir keinen Bock, deshalb sparten wir Russland aus. Die Bereiche Königsberg und St. Petersburg werden wir später einmal separat besuchen. Übrigens, Leningrad, wie St. Petersburg früher hieß, besuchten Gerd und ich im tiefen Winter des Jahres 1982. Unsere damals 1 ½ Jahre alte Tochter begleitete uns.
Vier ereignisreiche Jahre trennten unsere motorisierten Abenteuer. Seit sehr viel längerer Zeit schon war es unser Traum, die Ostsee zu umrunden. Aber zunächst wanderten Gerd und ich im Jahr 2012 auf den Jakobswegen 3.000 Kilometer von Hamburg nach Santiago de Compostela.
Anschließend nahmen wir uns die Restauration der fast 60 Jahre alten Lambretta-Motorroller vor. Meine Güte, das waren Wundertüten, die mit etlichen gar nicht freundlichen Überraschungen garniert wurden. Ganz besonders widerspenstig zeigte sich meine Maschine. Wenn man mal davon absieht, dass ich mir beim Sturz mit einem (anderen) Motorroller ganz ordentlich die Rippen verbogen hatten. Später fegte mich auf einer Tour von Hamburg nach Dresden eine heftige Windböe mit meinem vollbeladenen Fahrrad vom Deich. Dabei verletzte ich mir die Schulter. Ansonsten ging’s uns aber gut, aber die gesundheitlichen und maschinellen Probleme kosteten viel Zeit.
Für den Mai 2015 hatten wir die Ostseetour angepeilt. Was soll ich sagen, so kurz vor Toresschluss zickte die Lichtmaschine von meiner Lambretta so nachhaltig, dass dringend eine Reparatur fällig wurde. Natürlich eine für einen absoluten Spezialisten, versteht sich. Und der ältere Herr befand sich auf einer längeren Reise. Mein Lambretta-Teil bewegte sich keinen Meter mehr. Letztendlich scheiterte fast daran unsere Reise. Aber nur fast, denn es gab eine Lösung.
Seid Ihr schon mal mit einem Gespann gefahren? Wir auch nicht! Ein Wochenende für die Trainingseinheiten musste genügen und dann ging’s auf die Piste.

Mit der Campingausrüstung an Bord starteten wir am 4. Mai 2015 zur Ostseeküste in der Region Wismar. Das Wetter war durchwachsen und die Temperaturen für den Wonnemonat Mai zu kühl. Schon am 2. Tag unserer Reise hatten wir leichte Probleme mit dem Motorrollergespann, die eine Werkstatt in Greifswald bereinigte.

Wir entschieden uns, nicht über die Insel Usedom nach Polen zu fahren, sondern um das Haff herum nach Stettin. Diese Stadt, so nahe an der Landesgrenze hatten wir bisher nie besucht. Völlig unverständlich. Touristisch gesehen war noch nicht allzu viel los, das konnte uns nur recht sein. Etwas außerhalb der Stadt residierten wir auf einem wundervoll gelegenen und gepflegten Campingplatz. Hier hatte ich in der Duschanlage eine bemerkenswerte Begegnung mit einem wohlgestalteten Boxer. Wir beide im Adams- bzw. Evaskostüm. Leider hatte ich meine Brille nicht auf.
Mein Vater empfahl uns, unbedingt Kolberg anzusteuern. Wir befanden uns auf dem Weg dorthin, als es vom Motorraum her einen kräftigen Knall gab. Meine Güte, war das schon das vorzeitige Ende unserer Reise? Gerd und ich saßen am Straßenrand, warteten auf den Abschleppdienst und überlegten, wie’s weitergehen könnte. Zunächst zurück nach Stettin, mit drei weiteren Aufenthaltstagen. Es war kein Getriebeschaden, wie befürchtet, die Werkstatt konnte die Ersatzteile besorgen.
Wie befreit fuhren wir weiter an der malerischen Ostseeküste. Lange weiße Strände, Wälder bis zu den Ufern und langgestreckte Seen kurz dahinter. Auf einem Campingplatz erlebten wir eine Sturmnacht, hörten, wie das Geäst des Waldes knarzte und das Tosen der Brandung, die gegen die Küste schlug. Wir stiegen auf die Lontzkedüne bei Leba, eine gewaltige Wanderdüne, die sich zwischen einem See und dem Meer erhebt und ganze Waldgebiete mit ihrem Sand erstickte.
Und dann Danzig! Die kriegszerstörte Stadt wurde wunderbar wiederhergestellt. Wir waren hingerissen und einmal mehr erschien es uns unverständlich, weshalb wir nicht längst mal hier waren. Einen Besuch der alten Ordensburg des Deutschen Ritterordens in Marienburg unternahmen wir. Und voll mit Eindrücken reisten wir durch die traumhaften Landschaften Masurens. Mangels Visum umrundeten wir das russische Staatsgebiet Königsberg, wir hatten Litauen und damit das Baltikum erreicht.
In der Stadt Klaipeda setzten wir per Fähre auf die Kurische Nehrung über. Diesen Teil Litauens wollten wir unbedingt erleben. In Nida suchten wir einen Campingplatz und unternahmen unsere Erkundungswanderungen durch die Dünenlandschaft und den Ort. Der Nobelpreisträger Thomas Mann besaß hier für kurze Zeit ein Sommerhaus. Künstler, Maler von Rang hatten sich an diesen Küsten niedergelassen.
Die lettische Hauptstadt Riga stand auf dem Programm. Hier mieteten wir uns in einem Altstadthotel ein. Unser Motorrollergespann stand in einem abgeschlossenen Hof. Gerd kam auf die Idee, dass wir eine Stadtführung nur für uns beide buchen sollten. So lernten wir viel von den ›baltischen Befindlichkeiten‹ und der alten Hansestadt kennen. Kurz vor der Einreise nach Estland begegneten wir den Spuren eines berühmten Freiherrn, der für seine fantastischen Geschichten bekannt ist. So saß er dann auf seiner Kanonenkugel an der Straße, der alte Baron von Münchhausen.
Tallinn, Hauptstadt und Hansestadt wir Riga, nicht ganz so groß und prächtig wie die Schwester. Der Campingplatz am Hafen war scheußlich, das kann man nicht anders sagen. Aber die Stadt hatte es uns angetan, wie genossen Musik auf den Plätzen und Essen im Mittelalterstil. Auch mussten wir hier länger als beabsichtigt verweilen, denn der Hinterreifen des Motorrollers verlor Luft. Großartige Hilfe wurde uns zuteil und da vergisst man seine schreckliche Bleibe am Hafen gerne.
Es zog uns immer weiter nach Norden, die Fähre brachte uns von Tallinn nach Helsinki. Diese Stadt kannten Gerd und ich nur im Winter mit großen Schneehaufen auf den Straßen. Nun genossen wir die frühsommerliche Atmosphäre, besuchten die Sehenswürdigkeiten und Cafés. Auf den Straßen an der Ostseeküste entlang überholten uns unzählige Lastwagen, die Langholz transportierten. Der Holzeinschlag hat in Finnland wie auch im Baltikum große wirtschaftliche Bedeutung. Unser Fahrzeug fährt normalerweise am besten im Tempobereich von 60 bis 70 Stundenkilometer. Den LKW-Fahrern ist das viel zu langsam. In den Städten Rauma, Vaasa und Oulu hielten wir uns auf, bevor wir bei Kemi unsere Ostseeroute verließen. Die Stadt Rovaniemi in Lappland war unser Ziel. Entlang unserer Straße durchquerten wir unendliche Waldgebiete und Rentiere liefen auf der Straße herum. Die Autofahren warnten uns per Lichthupe, wenn diese Rentierherden an der Straße gesehen hatten. Unfälle mit den wild lebenden Tieren sind nicht selten.
Lappland! Wie faszinierend ist diese Region. Wir tauchten voll ein, in diese Landschaft. Flüsse, Seen, wir gerne hätte ich unser Boot dabeigehabt. Etliche Touristen kommen hierher, um Lachse zu fischen.
Rovaniemi steht für ein Spektakel der besonderen Art, denn nahe der Stadt am Polarkreis residiert der Weihnachtsmann. Das ist ein Touristenmagnet sondergleichen. Wir hatten den Auftrag, dorthin zu fahren. Haben wir auch brav gemacht. Seit wir das eindrucksvolle (teure) Besuchsvideo den Enkeln gezeigt haben, wollen die unbedingt mit uns nach Lappland fahren.
Für uns ging’s weiter auf der alten Eismeerstraße nach Sodankylä. Dort überraschte uns ein nordisches Filmfestival. Im Waschhaus erteilte ich einem anderen Campingplatzgast just in englischer Sprache ›Wäschepflegetipps‹, und dass er seinen dicken, wolligen Troyer um ›Himmelswillen‹ nicht in den Trockner geben solle. Bis der junge Mann meinte, wir könnten uns doch locker auf Deutsch unterhalten. Na ja, haben wir dann auch. Er sei auf drei Rädern nach Lappland gereist ließ er mich wissen. Ach was, wir auch! Im Gegensatz zu uns wusste er sehr genau, was in Sodankylä los war, wegen des Festivals war er extra von Regensburg her mit seinem Ape-Gefährt angereist.
Hier bestimmt der Waldtypus ›Taiga‹ das Bild. Das hier ist echte Wildnis. Wir warteten gespannt auf unsere erste Begegnung mit Elchen. Leider, leider haben die sich während der gesamten Reise durch Skandinavien vor uns versteckt. Bei der Stadt Ivalo verließen wir die Eismeerstraße und fuhren nördlich entlang am Inarisee. Seit der Ankunft in Rovaniemi begegneten wir immer wieder dem Kulturkreis der Sami. In Inari haben die finnischen Sami eine parlamentarische Vertretung, ihr Samething.
Entlang am Fluss Tenojoki verläuft die Grenze zu Norwegen. Dies ist die nördlichste Region der Europäischen Gemeinschaft. Viele Fischerhütten stehen am Flusslauf, denn hier sind ideale Fanggründe für Lachse.
Im norwegischen Städtchen Karasjok tauchen wir endgültig ein, in die magischen Welten der Sami. Das war eine prägende Begegnung und seither höre ich mir besonders gerne ihren Gesang, ihre Joiks an. Zu den Lebensbedingungen der samischen Urbevölkerung habe ich im Buch einiges zusammen getragen.
Die Landschaft wurde immer karger. Diese Ödnis der Tundra empfand ich als außerordentlich inspirierend. Wolkenbilder wirkten majestätisch. Der Sturm zerrte am Fahrzeug. Die Kälte machte uns zu schaffen. Wir hatten nun Mitte Juni und, bis Mittsommer waren es nur noch ein paar Tage.
Gewaltig tiefe und lange Tunnel trennten uns vom Nordkap und der Insel Magerøya. Unzählige Wohnmobile und Motorräder überholten uns auf der Straße, wir erreichten eine sehr stark touristisch frequentierte Region. Ein kurioses Erlebnis hatten wir in Honningsvåg. Dort konnte der Geldautomat keine Euros ausspucken, denn siebentausend! Kreuzfahrtgäste hatten sämtliche Barmittel abgeschöpft. Nur zum Vergleich, der Ort selbst hat rund zweieinhalbtausend Einwohner. Auf dem Supermarktparkplatz trafen wir auf das Gefährt von »Trecker-Willi«. Der alte Herr reiste 2015, vom Norddeutschen Rundfunk begleitet, mit seinem Traktor und einem Wohnanhänger zum Nordkap.
Wirklich dunkle Nächte hatten wir seit einiger Zeit nicht mehr erlebt. Wir befanden uns im Reich der Mitternachtssonne! Wenn sie denn scheint. Regenwolken fegte der Sturm über das berühmte Hochplateau. Mit steifgefrorenen, klammen Fingern bauten wir unser Zelt im Windschatten von Hütten auf. Bei kuscheligen drei Grad mummelten wir uns tief in die Schlafsäcke ein. Es war »Sommeranfang« und der letzte Schnee war immer noch nicht ganz weggetaut.
Rund 200 Kilometer weiter südlich am Ufer des Altafjords stießen wir auf steinzeitliche Felsritzungen. Dieses »Freilichtmuseum« hat mich unendlich fasziniert. Ich stellte mir vor, dass die Menschen damals ihre malerische Landschaft genauso wahrgenommen haben könnten, wie wir heute. Sie berichteten uns aus ihrem harten Leben, von Jagd und Fischfang, vom Skifahren und vom Nordlicht. Solltet ihr jemals in diese Gegend kommen, unbedingt ansehen.
Wir hatten nun die Nase gestrichen voll davon, von der Kälte, dem Regen und den Mücken, es zog uns unerbittlich nach Süden. Wobei, die Mücken werden uns noch längere Zeit erhalten bleiben. Am Verlauf der finnisch-schwedischen Grenze kehrten wir zum Ostsee-Rundkurs zurück.
Auf den schwedischen Straßen trieben uns die zahlreichen LKWs vor sich her. Keine Spur von der tiefenentspannten Gelassenheit der Finnen. Wir sollten gefälligst schleunigst Platz machen. Dabei nutzten wir jede Ausweichmöglichkeit, um den fließenden Verkehr passieren zu lassen.
In Schweden fühlten wir uns deshalb entsprechend unwohl. Trotzdem, Uppsala und Stockholm standen noch auf dem Programm. Eine bestimmte Insel im Mälaren musste ich unbedingt besuchen. Der See besaß vor Jahrhunderten noch eine natürliche Verbindung zum Baltischen Meer. Die alte Wikingeransiedlung Birka auf der Insel Björkö war um die Wende des ersten Jahrtausends ein Wikinger-Handelszentrum, welches mit dem schleswig-holsteinischen Haithabu in reger Verbindung stand.
Bei inzwischen lauschigem Sommerwetter cruisten wir durchs südliche Schweden. Wir verließen das Land mit der Fähre von Helsingør nach dem dänischen Helsingborg. In Roskilde machten wir noch kurz Station und dann ging’s in einem Rutsch durch nach Hause.

Zwei Monate Zeit haben wir uns für diese »Traumreise« genommen und nur zu gerne würde ich mich wieder auf den Weg dorthin machen. Aber wir fassen uns alle in Geduld und bleiben mal schön zu Hause.
Gerd und ich wünschen Euch allen ein gesegnetes Osterfest, bleibt schön gesund, passt gut auf Euch und Eure Lieben auf.
Viele liebe Grüße Reingard und Gerd

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