In Sachen Störtebeker - Leseprobe

 

edition winterwork,

Borsdorf bei Leipzig

 

 

419 Seiten,

ISBN 978-3-96014-620-9 Softcover, 21,90 €

ISBN 978-3-96014-639-1; E-Book, € 6,99

 

 

 

 

 

 

Seltsamer Besucher


Das penetrante Telefongebimmel weckte mich unsanft. Es ging mir hundsmiserabel, ich konnte einfach nicht rangehen. Oh, was für’n Glück, es hörte auf. Ich lag auf der Besuchercouch im Wohnbüro. Mir brummte der Schädel, aber so was von –, so’n Saufgelage habe ich mir nicht mehr gegönnt, seit meine geschiedene Ehefrau abhaute. Das ist lange her, daran wollte ich mich nicht erinnern. Mein Hirn fühlte sich an, als hätt ich nur noch Watte im Kopf. Ich weiß, Alkohol ist keine Lösung, manchmal immerhin unabdingbar. Genauso wie gestern Abend nach der Séance. Diese spiritistische Spökenkiekerei konnte ich anders nicht ertragen, alles ging mir gegen den Strich. Darüber hinaus brauchte mein guter Lars dringend Ablenkung von seiner Niederlage. Die Enttäuschung schmerzte ihn. Da half man gerne aus, mit – Spiritus gegen Spirit.
Ich lag noch immer hinfällig auf der Couch rum. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte ich einen Schatten. Spielte mir mein vernebelter Grips einen Streich oder meine trüben Augen? Im derzeitigen Zustand konnte ich den körperlichen Wahrnehmungen nicht über den Weg trauen. Da saß ein Kerl, ein wahrer Hüne! Regungslos, der beobachtete mich unverwandt. Wie lange schon? Wer war das? Jede Bewegung, jedes Stöhnen wird der Bursche registriert haben. Seine stahlblauen Augen scannten mich förmlich ab, gleich einem Raubvogel.
Irrtum ausgeschlossen, der Macker saß tatsächlich in meiner, mitten drin in meiner Wohnung! Ich war wie elektrisiert. Ruckartig schnellte ich vom Sofa hoch – oh, Schmerz lass nach. Im Kopf pochte es wie wild, mir wurde speiübel. Mein Kreislauf! Kurz vorm Zusammenbruch. Auf wackeligen Beinen hangelte ich mich rüber bis zum Schreibtisch, plumpste auf den Stuhl. Da hockte ich nun vor ihm und suchte im zugedröhnten Hirn nach den passenden Worten.

»Wie sind Sie hier reingekommen? Wer sind Sie?«, hörte ich mich fragen. Meine Stimme klang fremdartig und rau wie ein Reibeisen. Diese Äußerungen waren vielleicht nicht die intelligentesten, aber naheliegend.
»Über die Stiege«, antwortete der Fremde.
»Hä, was’n für’ne Stiege?«
Ich war noch nicht ganz beieinander. Kleckerweise fiel mir wieder ein, einige Leute sagen so zu einer Treppe. Mein lieber Lars wird beim nächtlichen Abmarsch in sein Atelier im Erdgeschoss die Eingangstüre nicht vernünftig zugemacht haben.
»Wer sind Sie?«
»Nennet mich Remmert, Remmert Hackebiel.«
Ein Mandant? Jetzt? »Die Kanzlei ist geschlossen, tut mir leid, heute habe ich einen freien Tag«, erklärte ich dem Unbekannten. »Machen Sie bitte einen Termin, dann stehe ich Ihnen später voll zur Verfügung.« Ich musste diesen Typen schnellstens loswerden. »Außerdem ist Sonntag«, ich erinnerte mich dunkel des freien Wochentags.
»Ihr seid Advocatus werter Herr, mein Begehr ist dringlich.« Der Kerl ließ sich nicht abspeisen.
»Was ist denn Ihr Anliegen?« Wo war der verdammte Stift, ich wühlte im Papier auf dem Schreibtisch herum.
»Wohlan mein Herr. Ein frecher Raub ist die Causa.«
»Ein Eigentumsdelikt, aha. Alles klar und es eilt.« Das murmelte ich mehr zu mir selber, um das zähe Gespräch mit meinem Besucher mit Geschwafel zu überspielen, sowie in der Absicht, Geschäftigkeit vorzutäuschen. Ich brauchte dringend ausreichend Zeit, um mich in einen ansehnlichen Zustand zu versetzen. Es eilt, es eilt, hämmerte es in meinem Kopf. »Heute ist Sonntag. Ich erwähnte es bereits«, meine Stimme klang gequält. »Bitte berücksichtigen Sie das, trotzdem kann ich Ihnen heute Nachmittag einen Besprechungstermin anbieten, sagen wir um sechzehn Uhr?«
»Gehabt Euch wohl!« Der Kerl stand auf und ging.
Einfach so! Mir fiel die Kinnlade runter. Nun wusste ich gar nicht mehr, woran ich war. Mein desolater Zustand verhinderte, dass ich mich von ihm verabschiedete, geschweige denn ihn hinaus begleitete oder vielleicht sogar zurückhielt. Ein verwirrend abruptes Unterhaltungsende. Wie geschraubt der Hackebiel sich ausdrückte, komischer Vogel. Na ja, seine Mandantschaft muss man nehmen, wie sie kommt. Das war möglicherweise der erste Auftrag im neuen Jahr, immerhin, man rannte mir nicht die Bude ein. In Hamburg gibt es Anwälte wie Sand am Meer, die Konkurrenz ist groß. Mein bestes Unterscheidungsmerkmal zur Masse war das Zusatzangebot, als Privatermittler tätig zu werden. Selbst das ist keine Alleinstellung. Welche meiner Dienstleistungen benötigte der Unbekannte? Diese Frage stand im Raum.

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