1917                         2017 

 

Erinnerung

 

an die Schlacht beim Fort  Malmaison/Frankreich und

 

an unseren Großonkel

Otto Gustav Karl Kurzenberg

 

gefallen für das Vaterland im 1. Weltkrieg am 19. Oktober 1917

 

Einhundert Jahre liegt dieser Todesfall, liegen die Kriegsereignisse nun zurück!

 

 

KURZENBERG

Wassermühle von Lodmannshagen

ISBN 978-3-96014-049-8, € 16,90

 

In der Familienchronik  KURZENBERG  ruft hauptsächlich das Kapitel »Das Trauma 14/18« die damalige Zeit ins Gedächtnis.

 

 

Hier findet sich nun die Leseprobe:

 

 Das Trauma 14/18

Im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe gab es 2014 eine Ausstellung zum Thema ›Krieg und Propaganda‹. Es wurde aufgezeigt, wie bei allen der am Ersten Weltkrieg teilnehmenden Nationen die Manipulation eingesetzt wurde, um Geld und Soldaten einzuwerben. Dabei arbeitete man sowohl mit den Mitteln der Abschreckung als auch denen der Bedrohung. Es ist erschreckend anzusehen und anzuhören, wie die Bevölkerung demagogisch auf den Krieg als einzige der verbleibenden Möglichkeiten eingeschworen wurde. In den Jahrzehnten vor jenem Sommer 1914 hatte Europa ein hemmungsloses Wettrüsten erlebt. Die Lieblingswaffengattung des deutschen Kaisers war die Marine und so florierte der Flottenaufbau. Andere europäische Nationen wie Frankreich, England und Russland empfanden das Erstarken Deutschland schlichtweg als Bedrohung ihrer Interessen.
Bei so viel Säbelgerassel ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich patriotisch empfindende Männer scharenweise freiwillig für den Kampf meldeten.
Einem Krieg, von dem sie annahmen, sie seien es ihrer Heimat schuldig, aktiv daran teilzunehmen!
Einem Krieg, von dem sie annahmen, er würde nicht sehr lange dauern.
Ein Irrtum, wie wir heute wissen!

»Papa, dein Vater Wilhelm und dein Onkel Otto haben sich natürlich auch freiwillig für den Kriegseinsatz gemeldet?«

Otto: »Ja, wobei du ja weißt, welche gesundheitlichen Einschränkungen die beiden hatten.«

Reingard: »Ist in der Familie bekannt, zu welchem Zeitpunkt dein Onkel Otto in den Krieg zog?«

Otto: »Nein, innerhalb der Verwandtschaft wurde nicht sehr viel von dieser Zeit gesprochen. Ich weiß nur, dass mein Vater für den Militärdienst nicht zugelassen wurde. Ich glaube, einerseits wegen der Unfallfolgen, deshalb war er ja ›dienstuntauglich‹ eingestuft, andererseits hatte er einen wichtigen Betrieb zur Lebensmittelherstellung. Ich könnte mir vorstellen, dass er an der ›Heimatfront‹ gebraucht wurde.«

Reingard: »Was meinst du, hatte dein Onkel Otto als junger Kerl vor seinem Kriegseinsatz einen Militärdienst absolviert? Schließlich litt er schubweise unter Gelenkrheumatismus.«

Otto: »Eigentlich müsste man mit einer derartigen Erkrankung wehruntauglich sein. Vielleicht hat man nach dem Kriegsausbruch solche Dinge nicht mehr so hoch bewertet. Wer weiß das schon!«

Reingard: »Am 19. Oktober 1917 fiel dein Onkel Otto beim Fort Malmaison in Frankreich; ›fürs Vaterland‹, wie auf seinem Gedenkstein steht.«

Otto: »Der Kriegstod des Sohnes, des Bruders war eine emotionale und wirtschaftliche Katastrophe für die Angehörigen. Ich erinnere noch, dass innerhalb der Familie öfter darüber sinniert wurde, ob er vielleicht noch die ›silbernen Tressen‹ erhalten habe.«

Reingard: »Was hat es mit den ›silbernen Tressen‹ auf sich?«

Otto: »Silberne oder goldene Besätze stehen für die Waffengattungen. Onkel Otto war bei der Infanterie, beim Kaiser Franz Garde Grenadier Regiment Nr. 2. Darüber hinaus waren die Tressen vielleicht eine Art der Auszeichnung für besonders tapferen Einsatz. Oder der Ausdruck der Beförderung zum Unteroffizier, diese Variante halte ich für realistischer. Aber, ich kann darüber nur spekulieren.«

Reingard: »Dein Onkel Otto besaß ja keine höhere Schulbildung. Dadurch bedingt hatte er vermutlich auch keinen zwangsläufigen Zugang zu höheren als zu den Mannschaftsdienstgraden. Vielleicht doch eher eine Auszeichnung, vielleicht postum?«

Otto: »Das war es möglicherweise, worüber Vater, Großeltern und Tante spekulierten.«

Reingard: »Ich habe im Internet nachgeforscht, dort sind Verlustlisten aus dem 1. Weltkrieg veröffentlicht. Und tatsächlich, dort fand ich den Eintrag ›gefallen‹ zum Unteroffizier Otto Kurzenberg aus Schaprode. Meine Recherche in der Datenbank des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge dagegen blieb ohne Resultat. Was dann ja bedeutet, er hat keine benannte Grabstätte.«

Wilhelms Bruder Otto hatte seinen Kriegseinsatz in einer Region, die in einen sehr harten Stellungskrieg verwickelt war. Ein Kampfgebiet, nordwestlich von Reims, im Nordosten von Frankreich gelegen. Die Soldaten nutzten die natürlichen Geländeformationen des Höhenzuges ›Chemin des Dames‹ für ihre Gefechtsstände. Und hier lagen sich in den Schützengräben die deutschen und französischen Truppen gegenüber. Unter enormen Verlusten an Mensch und Material wurde erbittert um klitzekleinen Gebietsgewinn gefochten.
Ein Kriegsbericht aus dem deutschen Großen Hauptquartier schildert fast distanziert das Schlachtengeschehen im Oktober 1917 bei Malmaison. Insbesondere, wie der Feind ab Mitte September seine Kräfte bündelte, um dann im Oktober einen großangelegten Angriff mit Steilfeuergrananten zu starten. Fast nebensächlich wird vom ›vergasen‹ der Anmarschwege gesprochen und dass ab dem 17. Oktober 1917 ein infernalisches Trommelfeuer begann. Die deutsche Infanterie war sechs Tage und Nächte dem feindlichen Dauerbeschuss ausgesetzt. Aber auch die deutsche Artillerie antwortete den Angreifern mit Dauerfeuer. Auf diese Weise wurde die komplette Gegend zusammengeschossen, in Grund und Boden geschossen, pulverisiert! Von Heldentaten kleinerer Einheiten wird berichtet und dass das ganze Ausmaß des geleisteten deutschen Widerstandes nicht annähernd geschildert werden könne. Am Ende des Berichts wird erwähnt, dass sich die deutschen Truppen unter heftigster Gegenwehr durch den ›Wald von Pinon‹ über den Oise-Aisne-Kanal zurückzogen. Vom Wasserlauf aus konnten am 26. Oktober 1917 alle weiteren Versuche der Franzosen auf Geländegewinn erfolgreich abgewehrt werden.
Das muss die Hölle gewesen sein! In dieser Schlacht fiel Otto Gustav Karl Kurzenberg am 19. Oktober 1917. Ein Mensch, der mit 31 Jahren noch das ganze Leben vor sich hatte, und in den die Familie große Hoffnungen setzte. Dieser Verlust war sehr schwer zu ertragen. Ein Grab in Frankreich hat er nicht und deshalb ist es gut, dass ein Denkmal im Garten des Mühlenanwesens an ihn erinnert. Das ist der Trost für die Familie.
Unser Besuch in Lodmannshagen führte ganz selbstverständlich zu dem Gedenkstein. Ich muss sagen, auf den ersten Blick konnte ich diesen Stein überhaupt nicht entdecken. Meine Augen machten dann schließlich in der total grünen Umgebung den Erinnerungsstein aus. Unter den hohen Bäumen, in einer Senke stehend, über und über mit Moosen und Flechten bewachsen. Nachdem die Marmorplatte gereinigt war, können wir einigermaßen den Text entziffern:

Dem Andenken an Unteroffizier
Otto Gustav Karl
Kurzenberg
1. MGK
Kaiser Franz Garde Grenadier Regt. Nº 2
21. November 1886 zu Schaprode a. Rügen
† 19. Oktober 1917 fürs Vaterland
bei Fort Malmaison Frankreich
gewidmet von Eltern u. Geschwistern
Sei getreu bis an den Tod, so will ich
dir die Krone des Lebens geben.


›Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben‹. Dass genau dieses Zitat aus der Offenbarung des Johannes auf der Marmorplatte eingraviert wurde, ist kein Zufall. Spiegelt sich doch hierin ganz deutlich die christliche Einstellung der Familie wider. Zum Leben im Allgemeinen und zur Pflicht der Vaterlandsverteidigung, selbst wenn die tödlich endet. Unerschütterliche Treue, ein Grundpfeiler des Daseins, möglicherweise war dies auch der Tauf- oder Konfirmationsspruch des Otto Gustav Karl Kurzenberg.
Die Hierarchie des Staatswesens von ›Gottes Gnaden‹ wurde von vielen Bürgern nicht angezweifelt. Selbst wenn man persönlich anderer Meinung war. Die lange Zeit der Unfreiheit der bäuerlichen Bevölkerung könnte so ein kritikloses Obrigkeitsdenken noch befördert haben. Das bedeutete nicht, dass es keinerlei Aufbegehren gegen die adligen Privilegien gab. Ich denke da besonders an die ›Märzrevolution‹ 1848/49, die niedergeschlagen wurde. In jenen Zeiten wurde jedes Aufbegehren mit harten Sanktionen belegt. Nicht umsonst sind im 18. und 19. Jahrhundert viele Menschen in die ›neue Welt‹ nach Amerika ausgewandert. Der schlechten Lebensbedingungen und der Unfreiheit wegen. Die Monarchie, das war die gottgewollte Weltordnung, man denke da auch an die Rolle der Kirchen.
Wenn der Monarch ›den Untertan‹ zu den Waffen rief, um der Verpflichtung zur Vaterlandsverteidigung nachzukommen, so ging man. Freiwillig und aus Überzeugung oder auch nur aus reinem Pflichtbewusstsein heraus, man gehorchte der Obrigkeit! Eine große Rolle spielte da auch der erwachende Patriotismus Anfang des 20. Jahrhunderts. Nationalbewusstsein im negativen Sinn, denn es galt den »Erzfeind Frankreich« zu besiegen, das hatte mit Nationalstolz nichts mehr zu tun. Insofern ist in diesem Zusammenhang die Definition von ›Vaterlandsverteidigung‹ durchaus fragwürdig. Einfach seine Knochen hinhalten, für Ziele, die andere für die höheren halten? Aus Staatsräson; wäre das heute undenkbar? Ich bin mir da nicht so sicher.
Jetzt muss ich ein wenig vorgreifen, denn auf einer Gedenktafel in der Dorfkirche von Schaprode auf Rügen wird an einen weiteren Kriegstoten der Familie erinnert. Auch sein Name ist Otto, Otto Wilke. Dieser Otto wird durch die Heirat Wilhelms mit Margarete geborene Wilke Teil des Familienverbands werden. Er fiel am 24. Juli 1918 bei Villers Bretonneux, einem Ort in Nordostfrankreich, zum Ende des Ersten Weltkrieges hart umkämpft. Von seinem Leben wissen wir nur sehr, sehr wenig. Er war der jüngere Bruder meiner Großmutter Margarete. Und er durfte die Mittelschule besuchen, deshalb hatte er wahrscheinlich den Rang eines Unteroffiziers inne. Sehr viel älter als Anfang zwanzig wird er nicht geworden sein. Bei meinen Recherchen bin ich auch bei ihm auf keine Grabstelle in Frankreich gestoßen. In der Verlustliste gibt es weit über zweihundert Einträge auf den Namen ›Otto Wilke‹. Wobei ich einen Vermerk gefunden habe, der auf einen Otto Wilke, Barhöft Stralsund lautet. Möglicherweise ist Großmutters Bruder auf dem Festland geboren worden, denn die Familie Wilke wohnte nachweislich auch in Stralsund. So aber ist die Tafel in der alten Schaproder Kirche der einzige gesicherte Hinweis, die einzige Erinnerung an ein junges Leben und an seinen gewaltsamen Tod an der Front.
So ungeschminkt wie im Heeresbericht hat die Öffentlichkeit bei keinem der internationalen Kriegsteilnehmer von dem Frontgeschehen erfahren. Die Verluste in den eigenen Reihen, ja, die mussten schon erklärt werden. Dafür wurden dann Begriffe wie Pflichterfüllung, Vaterlandsliebe oder der Heldentod gewählt. Die Bevölkerung stimmte man mit Bildern, Plakaten und Filmen ein. Radioempfänger waren zu jenen Zeiten vermutlich noch nicht ›massentauglich‹. Die Kriegsberichterstattung wird überwiegend in der Tagespresse stattgefunden haben. Bewegte Bilder, die gab es in den Wochenschauen der Kinos zu sehen. Wobei ich mal davon ausgehe, dass auf dem platten Land das neue Medium noch keine so große Rolle spielte. Trotzdem, für die Beeinflussung, für Stimmungsmache war gerade das Kino geeignet, Filmberichte, das war völlig neu für die Leute. Der Gegner konnte dämonisiert, und die eigenen Streitmächte als aufrechte Kämpfer für Freiheit und Vaterland dargestellt werden. Verunglimpfung des Feindes, Heroisierung der Nation und seiner Soldaten, das Prinzip galt für sämtliche der kriegsteilnehmenden Staaten. Sehr überzeugend ist dies in der bereits erwähnten Ausstellung gezeigt worden. Anlässlich des hundertsten Jahrestages zum Beginn der ersten Weltkriegskatastrophe, im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg.

 

Ende der Leseprobe