Erinnerung an einen herrlichen Urlaubstag auf der Insel Hiddensee

 

 Zu Recherchezwecken reiste ich mit meinem Mann Gerd auf die Insel Rügen. Hauptsächlich in den Orten Helle, Schaprode und Putbus waren Vorfahren von mir ansässig. Hier suchten wir nach den Spuren meiner Familie in Kirchenbüchern und auf den Friedhöfen, machten uns mit der Umgebung vertraut, die meinen Ahnen Heimat bedeutete.
Es waren wunderschöne, sonnig warme Herbsttage und wir entschlossen uns, eine Tageswanderung auf der benachbarten Insel Hiddensee zu machen. Per Wassertaxi schipperten wir zum Ort Kloster, hier besuchten wir die alte Kirche und die Grabstelle von Gerhart Hauptmann. Die Wanderung führte uns zum Inselnorden ins Hügelgebiet Dornbusch, zum Leuchtturm und immer weiter südlich am Wassersaum der Ostsee entlang nach Neuendorf. Ein wunderbar entspannter Tag.
Das Abendessen ließen wir uns bei einem Imbiß am Fährhafen von Neuendorf servieren. Die Zusammenstellung des Gerichts hat mich derart beeindruckt, dass ich es in Erinnerung an »zeitlos« schöne Tage auch zu Hause zubereite.


Und hier ist es:
Kartoffelpuffer mit Räucherlachs oder Matjestatar.
Zu den drei frisch zubereiteten, knusprigen Kartoffelpuffern reichte man Räucherlachs mit Sour Creme, fein geschnittenen Scheiben von Salat- und Gewürzgurke mit Dill. In einer zweiten Variante konnte Matjestatar bestellt werden.  Auch als Vorspeise ist dieses Kartoffelpuffergericht geeignet.

 

Mein Großvater Wilhelm (1879 - 1947) hatte eine Familienchronik verfasst. Hier findet sich nun eine Leseprobe, der darin geschilderte Umzug zur neu erworbenen Wassermühle von Lodmannshagen auf dem Festland fand im Jahr 1891 statt:

 

Umziehen, das ist auch in der heutigen Zeit kein reines Vergnügen. Erst recht nicht, wenn man per Schiff und mit Pferdefuhrwerken den Transport des Haushaltes und der Werkstatt bewältigen musste. Für Unvorhergesehenes sind solche Aktivitäten immer gut. Unerwartetes, die Familie Kurzenberg hatte reichlich davon, wie man von Wilhelm so hört:


»Die Zeit verging schnell bis zur Abschiedsstunde von der trauten, alten auch mir so lieb gewordenen rügenschen Heimat. In den letzten Tagen vor der Abreise kaufte mein Vater von dem Gutspächter Volkmann-Streu ein Pferd.
Zur Überfahrt nach Wolgast hatte Vater den Schiffer Kluß-Schaprode mit seiner Jacht angenommen. Da wurden dann aller Hausrat und Wirtschaftsgeräte aufs Schiff verladen. Wir, meine Mutter, mein Bruder Otto, die älteste Schwester meiner Mutter, Tante Gustave Behm, später nach Ummanz an einen Bauern Johann Kasch zu Voigtei verheiratet, sollten mit dem Schiff die Reise machen. Während mein Vater die Reise über Land bereits am 8. Oktober 1891 antrat und über die Glewitzer Fähre, Greifswald nach Lodmannshagen mit Pferd und Wagen antrat.
Mit Schiffer Kluß war vereinbart, daß er, sobald er an Peenemünde vorbei, die schwarz-weiß-rote Flagge(*FN*    Die Flagge des Norddeutschen Bundes respektive des Kaiserreiches.*FN*) an der Gaffel des Großseglers hissen sollte. Es sollte dies für Vaters Bruder Johann Christian in Kröslin das Signal unserer Ankunft sein, um dieselbe telegrafisch nach Lodmannshagen zu melden, damit wir rechtzeitig von Wolgast abgeholt werden konnten.
In der Frühe des 9. Oktober 1891, ein herrlicher, sonniger, klarer Herbstmorgen, hatten wir uns, nach herzlichem Abschied von den Großeltern, Onkel Wilhelm und Tante Martha Behm, eingeschifft. Es wehte nur wenig Wind, als die Leinen vom Bollwerk eingezogen wurden. Der Wind flaute immer mehr ab, dazu war er entgegengesetzt, so daß wir ständig kreuzen mußten. Es war sommerlich warm. Wir sonnten uns an Deck. Die Frauen saßen am Strickzeug und erzählten sich mit dem Schiffer und seinem Schwiegersohn Emil Kasch. Wir beiden Jungen trieben allerlei Allotria(*FN*    Unfug *FN*). Aber die Stralsunder Türme wollten durchaus nicht näher kommen. Obwohl das Schiff als scharfer Segler bekannt war, kamen wir nicht vorwärts. Unter normalen Windverhältnissen dauert die Fahrt von Schaprode bis Stralsund 2 - 2 ½ Stunden.
In sechs Stunden hatte der Schiffer gehofft, Wolgast zu erreichen. Erst am Spätnachmittag waren wir unter Stralsund, und als die Dämmerung anbrach, waren wir erst unterhalb Niederhof(*FN*    Niederhof am Strelasund, dort gibt es eine kleine Bucht, die Ankern ermöglicht.*FN*), wo wir wegen der Windstille vor Anker gingen. Nun wurden die Betten im Laderaum aufgemacht, Mutter hatte das Abendessen für alle in der Kombüse bereitet, und nachdem dies verspeist, verzog sich alles unter Deck. Der Himmel hatte sich grau bezogen und die Schiffer hofften für den anderen Tag auf Wind und gute Fahrt. Bereits in der Nacht merkten wir an den Bewegungen des Schiffes, dass wir wieder in Fahrt waren. Erst nachdem es draußen schon hell war, wurde uns aufgemacht und wir konnten an Deck gehen.
Es wehte schon ziemlich steife Briese, die Stralsunder Türme lagen weit hinter uns, wir befanden uns bei Stahlbrode-Glewitz, wo der Strelersund am schmalsten und in den Greifswalder Bodden überging. Der Wind wurde immer stärker, wehte aus Süden. Wir machten gute Fahrt, und obwohl mancher Spritzer herüberkam, hatten alle frohe Laune. Seekrank wurde nicht einer, obwohl es tüchtig schaukelte. Der Greifswalder Bodden war bald durchquert. Es war etwa 9 – 10 Uhr, als wir vor der Peene anlangten, aber jetzt war es mit dem gemütlichen Segeln vorbei. Jetzt ging das Kreuzen wieder los, immer für und für. Die meisten Schiffe, die den gleichen Kurs hatten, legten sich auf der sogenannten Kreuzwete(*FN*    Ein Hafenbereich, in dem Segelschiffe auf besseren Wind warten konnten. Außerdem musste die Takelage der Schiffe dort den veränderten Segelbedingungen angepasst werden.*FN*) vor Anker, wir aber kreuzten unentwegt weiter. Bei der Peenemünder Schanze (*FN*    Auch Schwedenschanze genannt, hier befindet sich eine Festungsanlage, ursprünglich von Wallenstein 1628 errichtet. Bei der Landung Gustav Adolfs auf Usedom 1630 wurde sie in schwedischen Besitz genommen und ausgebaut. Heute sind nur noch spärliche Reste zu sehen.*FN*) kam ein Zollboot und frug nach Ladung und Bestimmungsort. Nun wurde die Flagge an der Gaffel gesetzt, aber wir haben lange gebraucht, bis wir Wolgast erreicht hatten. Es war schon 4 Uhr nachmittags, als wir im Wolgaster Hafen festmachten und an Land gingen.
Während der Fahrt auf der Peene hatte auch ich Arbeit bekommen. Mußte dauernd die Fockschote bedienen, aber es machte ungeheuren Spaß. Wir haben an Bord noch erst Kaffee getrunken. Von Lodmannshagen war noch niemand zur Abholung da. Da haben wir uns aufgemacht und die Stadt angesehen. Der Hafen war belebt mit allerlei Segelschiffen und einigen Dampfern.
Ein gar seltsames Singen und Klingen war vernehmbar, und wie uns der Schiffer erklärte, kam es aus einer in der Nähe liegenden Holzbearbeitungsfabrik. Erst kurz vor Abend kam mein Vater mit dem Wagen, um uns abzuholen. Das Telegramm aus Kröslin mußte erst über Hanshagen durch Boten zu Fuß bestellt werden, wodurch die Verzögerung entstanden war. Nur das Allernotwendigste wurde aufgeladen und wir fuhren, nachdem wir uns von unseren Schiffersleuten verabschiedet hatten, in den lauen Herbstabend hinein, der neuen Heimat zu.
Bis Pritzier hatten wir Chaussee, von dort über Katzow Landweg. Gegen 10 Uhr abends am 10. Oktober 1891 trafen wir in Lodmannshagen ein. Haben dort auf dem Beug’schen Bauernhofe übernachtet. Wir wurden dort freundlich aufgenommen. Heute noch erinnere ich mich des ersten Abends. Nachdem wir angekommen, wurden wir zu Tisch gebeten. Es gab Pellkartoffeln und Bratbarsch und schmeckte nach der Reise ganz vorzüglich. Der nächste Tag war ein Sonntag und es war vereinbart, mit allen Beug’schen Wagen nach Wolgast zu fahren, um unsere Sachen vom Schiffe zu holen.
Am nächsten Morgen brachte uns mein Vater erst zur Mühle, unserem künftigen Wohnsitz. Er selbst fuhr mit nach Wolgast zum Aufladen, wir anderen blieben zurück. Doch wie sah es im Hause, in der Wirtschaft und der Wassermühle aus! Einfach trostlos verwahrlost. Spinnenweben, Schmutz und Dreck überall. Die Gebäude ziemlich baufällig. Wohnhaus und Wassermühle waren unter einem Dach. Auf einer Insel zwischen dem Mühl- und Freibach lag die alte Scheune, wo nachher vom Vater Stallung für Pferd, Kuh und Schweine eingebaut wurde. Beide Gebäude waren in Fachwerk mit Stroh- respektive Rohrdach errichtet.«

Reingard: »Für die Brüder Otto und Wilhelm war die Seereise vermutlich das reinste Abenteuer. Die Erwachsenen dürften dieser Flaute eher mit Sorge um deren Termine begegnet sein. Eine große Scheußlichkeit stand ihnen ja noch bevor, den Ahnungslosen! Wie rücksichtsvoll von Ludwig, seiner Familie den Schock über den maroden Zustand der Mühle erst am Tag danach zuzumuten. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie die Wassermühle auf die Familienmitglieder gewirkt haben dürfte. ›Dat löppt sik allens taurecht(*FN*   ›Das regelt sich alles von alleine, von selbst!‹*FN*)‹ und ›packen wir’s an‹, ich kenne solche Einstellungen. Diese Sprüche kursieren auch in meinem Clan, das könnte so etwas wie ein Familienmotto sein.
Die Vorstellung darüber, wie der Postbote zu Fuß über Land schlurfte, um ein Telegramm zuzustellen, die amüsiert mich. So ändern sich die Zeiten. Ich werde ungeduldig, wenn beispielsweise der Computer nicht sofort hochfährt. Meine Altvorderen mussten halt einen halben Tag auf die Erledigung einer schnellen Nachricht warten.«