Auf drei Rädern - Rundkurs Ostsee

Auf drei Rädern, Rundkurs Ostsee

 

Leseprobe:

 

 

Inhaltsverzeichnis

Die Idee    7
Irgendwas ist immer!    18
Lambretta und kein Ende    28
Reise-Organisation    40
Steine auf Reisen    45
Deutschland    52
Polen    63
Baltikum    90
Finnland    120
Sápmi    162
Norwegen    174
Schweden    205
Dänemark    229
Reise-Impressionen    238
Lambretta, ein literarisches Andenken    248

 

Steine auf Reisen (S. 45)

 

Etwa zwei Regalmeter Kochbücher stehen in meinem Bücherschrank. Ich sammle Rezepte aus aller Herren Länder. Ich koche dann zwar meistens eigene Kreationen, die Bücher dienen der Inspiration. Zur Einstimmung auf die Reise lud ich meine Arbeitskollegen zu einem Ostseeanrainer-Frühstück ein und fahndete zu diesem Zweck nach landestypischen Rezepten. Zehn Nationen grenzen an die Ostsee und von jedem der Anrainer sollte ein Gericht, eine Zutat stammen. Für das Einladungsschreiben suchte ich mir per Übersetzungsprogramm die jeweilige Bezeichnung für ›Frühstück‹ in den Landessprachen heraus.
 Von dänischer Butter und Gurkensalat über finnisches Roggenbrot, norwegischer Lachscreme, russischen Piroggen, schwedischem Heringssalat und Köttbullar bis hin zum litauischen Salat wird alles dabei sein. Polnische Gewürzgurken runden das herzhafte Frühstück ab. Für die Süßmäuler unter den Kollegen muss ich mir noch etwas einfallen lassen. Vielleicht was Russisches? Oder was Deutsches? Wäre ja auch nicht verkehrt.
Piroggen, die Teigwaren werden von Polen bis Finnland in den unterschiedlichsten Varianten auf den Tisch gebracht. Die gefüllten Teigtaschen können gekocht, gebraten oder gebacken serviert werden, ich entschied mich für das Backwerk. Bei der Zubereitung der schwedischen Köttbullar passierte mir allerdings ein kleines Missgeschick. Die Fleischklößchen zerfielen in der Pfanne, deshalb konnte ich nur ein paar von ihnen servieren. Die restlichen Klößchen ergaben übrigens eine hervorragende Grundlage für eine Nudelsoße.

Frühstück in seiner schönsten internationalen Form:

  •     Polnisch        śniadanie
  •     Russisch        завтрак / zavtrak
  •     Litauisch         pusryčiai
  •     Lettisch         brokastis
  •     Estnisch         hommikusöök
  •     Finnisch         aamiainen
  •     Schwedisch         frukost
  •     Norwegisch         frokost
  •     Dänisch         morgenmad


So stimmten wir uns mental auf den Sommer ein. Auf Reisen in anderen Regionen und Ländern guckte ich den Leuten nur zu gerne in die Kochtöpfe. Leider sind dem ›Topfgucken‹ bei Campingreisen Grenzen gesetzt. Die Reisenden mit Wohnmobilen oder Wohnwagen kochen am eigenen Herd. Deshalb sind die Küchen auf den Campingplätzen oftmals sehr stiefmütterlich ausgestattet. Es finden dort keine großartigen Begegnungen mit anderen Campinggästen statt, mal vom Abwasch abends und morgens abgesehen.
Zum Abschied von Freunden und Familie schrieb ich Anfang Mai 2015 per E-Mail und auf Facebook:

Honda Helix 250 ccm mit Beiwagen, Baujahr 1997 – so sieht das Gespann aus (das Foto befindet sich vor dem Kapitel), mit dem wir die Reise um die Ostsee angehen wollen. Der Restaurator unseres Vertrauens stellt das Gefährt zur Verfügung. Es ist seine eigene Maschine, er nennt sie Krokodil. Kann man ja an der leichten Schuppung und Form unschwer erkennen, außerdem ist die dunkelgrüne Lackierung ein eindeutiges Indiz. Auf mich wirkt der Motorroller ein wenig utopisch. Das Teil hat 250 ccm und mein Führerschein lässt maximal 125 ccm zu. Das bedeutet, ich bin im Beiwagen zur Untätigkeit verdammt. Andererseits ist es die Gelegenheit, unterwegs zu fotografieren, was nicht machbar ist, wenn man selber fährt. Es fällt mir trotzdem schwer, nur die Sozia zu sein.
Auf drei Rädern nach Mitternacht, wer hätte das gedacht. Wo wir just beim Denken sind, Plan B war schon im Köcher, falls die Ostseeumrundung auch dieses Jahr wieder ausfällt. Die Insel Rügen wäre sonst zu Fuß umrundet worden.
Mit unseren NSU-Lambrettas wird die Tour leider, leider unter keinen Umständen stattfinden. Meine Lambretta zickt nachhaltig und die Reparatur ist nicht einfach mal eben so zu machen. Die Lichtmaschine ist korrodiert, muss neu gewickelt werden. Sieht kompliziert aus und ist es auch. Dafür wird das Knowhow der ›alten Knaben‹ benötigt. Wie das bei Rentnern so üblich ist, sind die gerade nicht greifbar, weil noch bis Juni auf Reisen.
Gerds Lambretta bleibt gleichfalls zu Hause, denn der Beiwagen der Honda braucht dringend Ballast. Mein lieber Ehemann meint, bei meiner Statur sei ich hervorragend dafür geeignet. Wir werden keines Falls mit zwei Maschinen unterwegs sein, sondern ausschließlich mit dem Gespann. Das spart Benzin und belastet die Umwelt weniger, denn die Honda ist ein Viertakter, braucht also kein zusätzliches Zweitakt-Öl.
Am Montag, dem 4. Mai geht’s los. Die erste Übernachtung planen wir im Raum Wismar, die zweite sollte irgendwo am Darß sein und dann der Familienbesuch nahe Greifswald. Ums Stettiner Haff herum und an der polnischen Küste entlang immer weiter nach Nordosten, vom Bottnischen Meerbusen aus der Abstecher zum norwegischen Nordkap, so ist die Planung. Bis wir ein paar Wochen später über Schweden und Dänemark zu Hause ankommen werden.
Wir verabschieden uns auf diesem Wege und sehen uns alle hoffentlich gesund und munter im Juli wieder. Viele liebe Grüße und bis bald.

Die Quickly-Touren lagen inzwischen fünf Jahre zurück! Allerhöchste Zeit abermals auf zwei, respektive drei Rädern durch die Landschaft zu brausen. Ein Wechselbad der Gefühle hatten wir hinter uns, das ständige Auf und Ab; wie anstrengend. Darüber hinaus brachten uns die Strapazen, finanzieller und nervlicher Art dem Ziel nicht im Geringsten näher.
Neben der Campingausrüstung und Kleidung achten wir regelmäßig darauf, dass Ersatzteile und Werkzeuge mit an Bord sind. Im diesjährigen Fall konnte keine großartige Vorsorge auf dem Teilesektor getroffen werden. Es fehlte einfach die Zeit zur Vorbereitung auf das Fahrzeug. Herr Buchholz stattete uns mit Glühbirnen und sonstigem Kleinkram aus, das musste fürs Erste reichen. Alles andere würde sich unterwegs ergeben.
Für großes Gepäck gab es nicht genügend Platz auf dem Gespann. Was es bedeutet, mit limitierten Habseligkeiten zu reisen, das wissen wir spätestens seit den Pilgerwanderungen auf den Jakobswegen. Je weniger mitgenommen werden kann, desto sorgfältiger muss die Auswahl der mitzunehmenden Gegenstände getroffen werden. Multifunktionen von Werkzeugen und Essbestecken beispielsweise sind sinnvoll.
Noch ein paar Hinweise zur Ausrüstung, ich beginne mal mit der Behausung. Das Zweipersonenzelt hat eine sehr windstabile Kuppelform, sie wird Geodät genannt, denn die Zeltstangen kreuzen sich zweimal. Dieses Zelt hatte sich in der Vergangenheit sehr gut bewährt. Hier sind insbesondere die Windstabilität, die geringe Grundfläche und der Insektenschutz, wichtig in Skandinavien, hervorzuheben. Das Innen- und Außenzelt lassen wir stets mit der passgenauen Unterlage zusammengekoppelt. Die Zeltunterlage schützt das Gepäck vor Nässe und das Innenzelt vor spitzen Steinen. Das Gesamtgewicht beträgt etwa vier Kilogramm. Die beiden selbstaufblasenden Isomatten, 7,5 cm hoch füllen die Bodenfläche des Innenraumes fast vollständig aus. Lediglich im Kopf- und Fußbereich gibt es ein wenig Platz für Ausrüstung. Die aufblasbaren Kopfkissen waren ein Flop, wie wir später herausfinden sollten. Bereits nach nur zweiwöchiger Nutzung verloren sie reichlich schnell die Luft und waren unbrauchbar. Ab damit in den Mülleimer!
 Das Reiseziel war der mitunter sehr nasskalte Norden, deshalb konnten die feuchtigkeitsempfindlichen Daunenschlafsäcke nicht zum Einsatz kommen. Wir entschieden uns für Mumienschlafsäcke mit dicker kuscheliger Kunstfaserfüllung. Aus der Zeit der Pilgerwanderung besitzen wir noch die Seideninletts, die wir bei Hitze anstatt Schlafsack benutzten. Bei großer Kälte können sie als zusätzliche Wärmequelle eingezogen werden. Wir müssen das ganze Zeug ja nicht tragen, deshalb packten wir außerdem eine kleine Outdoorküche mit ein, wie Kocher und Multifunktionstöpfe.
Wir waren Tag für Tag Wind und Wetter ausgesetzt, da war die Motorradmontur wichtig. Die imprägnierten Jacken waren mit Thermofutter, Reflektoren und steifen Protektoren ausgerüstet, genauso wie die Hosen. Die sperrigen Helme mit Sonnenblende, Halswärmer, Nierengurte, Lederhandschuhe und festes Schuhwerk komplettierten das Reiseoutfit. Auf dem Motorrad kann es ausgesprochen kalt und zugig sein, deshalb ergänzten wir die Garderobe um langärmelige und langbeinige Funktionsunterwäsche aus Merinowolle.
Um uns vom elektrischen Strom unabhängig zu machen, packten wir ein Solarladegerät ein. Die mobilen Telefone und das kleine Würfelradio konnten damit geladen werden. Das Ladegerät der Kamera musste nach wie vor an die Steckdose. Was wir seinerzeit noch nicht wussten, das Akkuladegerät nimmt bei großer Kälte keine Energie auf. Selbst wenn die Sonne noch so doll scheint. Na ja, diese Erfahrung werden wir erst im hohen Norden machen. Auf die Speicherkarte des Würfelradios hatten wir unsere Lieblingssongs übertragen und so verbrachten wir unterwegs so manchen Abend gemütlich im oder vor dem Zelt und hörten unsere Musik.
Die spärlich bemessene persönliche Kleidung, Toilettenartikel, Medikamente, Mikrofaserhandtücher, Tagebuch, Waschmitteltabs und Wäscheklammern in der Box und so weiter vervollständigten das Gepäck. Ah, einen klitzekleinen Luxus leisteten wir uns dann trotzdem. Damit wir nicht auf dem Boden rumsitzen müssen, kamen die Faltcampingstühlchen mit. So, nun aber, es konnte losgehen.
Beim Abschied von der Familie sammelte unser fünfjähriger Enkel aus dem Garten einen Stein auf. »Den sollt ihr mitnehmen, damit ihr wisst, dass ich euch vermisse und immer an euch denke.« Wir waren zu Tränen gerührt! Dieser kleine Kerl bringt so die Emotionen zum Schwingen. Logisch, das Steinchen wird uns rund um die Ostsee begleiten, das ist doch Ehrensache. Unterwegs fotografierten wir uns damit gegenseitig an den unterschiedlichsten Orten. Immer das Steinchen in die Kamera haltend. Meistens gaben wir noch ein Küsschen drauf.