Ein deftiges Wintervergnügen der besonderen Art ist die Kohl- und Pinkelfahrt in Oldenburg Stadt und Land, von Ostfriesland im Westen bis nach Bremen im Süden. Wenn Mitte November, am Buß- und Bettag die Grünkohlsaison eröffnet ist, spätestens dann richtet sich das Augenmerk auf den Winterkohl.
Der Grünkohl hat eine palmenartige Wuchsform, wird auch gern als »Oldenburger Palme« bezeichnet. Für die Zubereitung streift man die Blätter von der mittleren Rispe. Gründlichstes Waschen ist angesagt, dann wird der Kohl blanchiert, um ihn anschließend grob zu haken. Das geräucherte Fleisch, wie Kassler, Kohlpinkel, Kochwurst, Speck und Schweinebacke gart in Brühe in einem anderen Topf. Mit dieser Fleischbrühe füllt man den Grünkohl auf. In den Oldenburger Haushalten bindet man die Kochbrühe mit Hafergrütze leicht ab.
Ihr könnt es unschwer erkennen, ich bin parteiisch festgelegt auf die Region Oldenburg. Hier war ich für viele Jahre zu Hause, habe meine Schul- und Ausbildungszeit in der Stadt absolviert. Hier war ich oftmals Gast von den berühmten Kohlfahrten. Bereits in den Sommermonaten wird in Firmen und Vereinen nach den Gasthäusern der Umgebung Ausschau gehalten, die das beliebte Grünkohlessen in großer Runde anbieten.
Und dann, in der kalten Jahreszeit, sonnabendnachmittags ziehen die Leute los. Was tragen die da an Kordeln um den Hals? Eierbecher! Damit immer ein geeignetes Gefäß für den unvermeidlichen »Korn« parat ist. Hochprozentiges aus der Buddel Schluck! Einige Kilometer vor dem Lokal teilt sich die Kohlgesellschaft in zwei Teams auf, denn nun wird geboßelt. Die einsame Landstraße mutiert zur Sportarena. Die Kugeln werden geworfen und diejenige Mannschaft mit den wenigstens Stößen ist der Sieger. Die geboten Pausen, etwa nach einem genialen Wurf oder weil die Boßelkugel aus einem Wassergraben zu bergen ist, gestalten die Anwesenden mit einem kleinen Umtrunk. Und bei der gut gelaunten Ankunft beim Lokal gewinnt dann immer die Mannschaft des Chefs. Und wenn nicht wirklich, dann doch wenigstens moralisch. Woll’n uns mal nicht beschweren, denn schließlich zahlt der oftmals auch den Spaß.
Im Gasthaus toben sich schon andere Kohlfahrtgesellschaften auf der Kegelbahn aus. Am frühen Abend zelebriert man dann die Grünkohlmahlzeit. Eine leckere Brühe vorweg, damit der Magen auf Temperatur kommt. Grünkohl ist in dampfenden Schüsseln und die Fettigkeiten auf Platten angerichtet, Kohlwürste, Kassler, Schweinebacke, Speck, ordentlich Senf dazu. Auweia! Vegetarier haben hier sehr schlechte Karten.
Nach dem Essen küren die Teilnehmer dann das Kohlkönigspaar. Wer am längsten oder am meisten isst, ist dafür schon lange kein Kriterium mehr. Oftmals werden die Kohlkönige einfach ›ausgeguckt‹. Auch ich war einstmals eine ›Kohlkönigin‹, bekam den Schweineorden umgelegt. Seitdem ziert ein kleines Schildchen mit meinem Namen die Kette des Ordens. Und ja, dann ist »Danz op de Deel«, bis in die späte Nacht. Der Sonntag wird häufig genug dafür genutzt, seiner Leber die benötigte Ruhe zu verschaffen und überhaupt, um montags wieder fit für den Job zu sein.
In diesen Coronazeiten ist das rustikale Vergnügen leider nicht angesagt. Ich habe deshalb einen großen Pott voll Grünkohl gekocht, mehr als Gerd und ich essen können. Portionsweise werde ich diese Mahlzeiten einfrieren und als Geschenk an Familie und Freunde überreichen. Und wenn es dann wieder möglich ist, dann versammeln wir uns bei uns zu Hause am großen Esstisch und genießen die winterlichen Freuden. Prost! Mit einer Buddel Schluck.
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