P – wie Padre Ernesto
Manchmal bekommt man es geschenkt, wenn man es am dringendsten braucht, in unserem Fall war es der Schatten. Die Sonne brannte so gnadenlos auf uns runter, da kam uns die schattige Platanenallee gerade recht. Noch ein paar Kilometer bis zu unserem Etappenziel, die berühmte Herberge des Padre Ernesto in Güemes. Padre Ernesto hat sein Elternhaus voll in den Dienst der Menschen gestellt. Bei einer abendlichen Zusammenkunft im Versammlungsraum wurde uns von einem seiner Mitarbeiter das persönliche Anliegen und das Engagement des Padres vorgestellt. Zu dieser Veranstaltung waren alle dort anwesenden Pilger eingeladen, während in der Küche das warme Abendessen vorbereitet wurde. So saßen wir alle zusammen in einer großen Runde. Zu Beginn der Versammlung musste zunächst noch geklärt werden, in welchen Sprachen die Pilger sich denn so verständigten. Na klar, der Mitarbeiter präsentierte das Konzept des Paters in Spanisch, ein anderer Pilger übersetzte das Ganze ins Englische.
Padre Ernesto Bustio hatte nicht nur sein Elternhaus in den Dienst der Menschen gestellt, sondern es ist ihm ein besonderes Anliegen, sich den Menschen am Rande der Gesellschaft zuzuwenden. So kümmert er sich besonders um die Resozialisierung von jungen Gefangenen, beispielsweise aus den Gefängnissen der Halbinsel Santoña und Santander. Padre Ernesto betrachtet das Reisen als die „Universität des Lebens“. Er war sehr viel in der Welt unterwegs, hauptsächlich in Afrika und Lateinamerika. Er kennt die Sorgen der Leute, denn er arbeitete mit ihnen zusammen, im Bergwerk als Minero und auf einer Ölplattform. Für ihn stehen immer der Mensch und seine Umwelt im Mittelpunkt. So wurde uns an jenem Abend die Umgebung von Güemes und die herrliche Landschaft Kantabriens vorgestellt und ihre Gefährdung, denn die Wälder am Atlantik verarmen in ihrer Vegetation durch die ungehemmte Aufforstung mit Eukalyptus. Diese Bäume wachsen vergleichsweise sehr schnell in guter Qualität heran und sind für die Zellstoffindustrie sehr interessant, denn sie bringen schnelles Geld! Die Kehrseite ist, diese Bäume haben sehr tiefe Wurzeln und einen sehr hohen Wasserbedarf. Eigentlich regnet es im Norden der iberischen Halbinsel genügend, trotzdem machen sich die Bauern Sorgen um den Wasserhaushalt für ihre Anbauflächen. Wir hatten auf unseren Wanderungen im Norden sehr viele Schonungen in den Wäldern gesehen, in denen die Eukalyptussetzlinge herangezogen wurden. Wenn diese Bäume jung sind, dann sehen sie sehr hübsch aus, mit den mintgrün schimmernden Blättern. Die Eukalyptuswälder mit großen Bäumen sind finstere Stangenacker, Waldtiere finden keinen ausreichenden Lebensraum und so bleibt dieser australische Einwanderer im Ökosystem Nordspaniens ein störender Fremdkörper. Der Pater hatte sehr viele Dias gemacht und so bringen uns die freiwilligen Mitarbeiter die Schönheiten der Picos de Europa näher.
„Schöne Pilgeratmosphäre“ so steht es im Wanderguide und Atmosphäre, die erzeugt man nicht mit Einrichtungsgegenständen, die entsteht aus dem „Geist“ des Hauses. Der gute Geist dieser Albergue “La Cabaña del Abuelo Peuto” das ist Padre Ernesto und seine Mitarbeiter, die ehrenamtlich tätig sind. Unterstützt werden sie von einigen lädierten Pilgern, die fußkrank oder mit anderen Problemen behaftet, eine kleine Zeitspanne in der Herberge verweilen, um wieder fit für den Weg zu werden. Unterwegs trafen wir immer mal wieder zwei Französinnen, so wie jetzt in Güemes; die eine von ihnen konnte nur noch humpeln. Als wir ihre Füße sahen, waren wir entsetzt und ich erinnerte mich an den Beginn unserer Wanderung, als meine Füße ähnlich aussahen. Sie hatte große Schmerzen durch die blutigen Wunden, wie gut, dass sie es bis hierher schaffte, denn hier bekam sie Hilfe. Wir hatten uns mit einer jungen Deutschen unterhalten, die für die Zeit, die sie zum Abheilen ihrer blutigen Blasen brauchte, in der Küche eingesetzt war. Alle wie sie da waren, waren von dem warmherzigen Engagement des Paters begeistert. Nicht nur ein Bett zum Schlafen bekam man hier, sondern es gab gemeinschaftliches Abendessen und Frühstück und so wurden die langen Tische zum Ort der internationalen Begegnung.
Q – wie QUE O APÓSTOLO OS GUÍE
Wir hatten es zunächst sehr bedauert, die Küste zu verlassen; 650 Kilometer ging es mehr oder weniger nah am Küstensaum entlang. Nun, von den Bergen aus hatten wir noch einen letzten Blick auf die Ría de Ribadeo und auf die Stadt. Für übermäßig viel Wehmut hatten wir keine Gelegenheit, denn dieses faszinierende Galicien zog uns wieder in seinen Bann. Und es wurde wieder einsam, einsame Wege durch die Wälder und Dörfer. Die Handvoll Pilger, die wir schon kannten und ein paar Dorfbewohner, mehr trafen wir unterwegs nicht an. Diese Einsamkeit rückte die religiöse Dimension wieder in den Vordergrund. Wir hatten mit den anderen Pilgern darüber diskutiert, dass der religiöse Aspekt auf dem Camino del Norte, Camino de la Costa ein wenig auf der Strecke geblieben sei. Die Seebäder und die Touristenattraktionen lenken von dem eigentlichen Pilgergedanken ab und viele der Pilger waren mit sehr großen sportlichen Ambitionen unterwegs. Es wurde allgemein die Ansicht vertreten, dass es schließlich jeder Pilger selber in der Hand habe, inwieweit er spirituell unterwegs sein möchte. Genau!! Ein ganz profanes Schild im Wald macht wieder den Zweck dieser Wanderung bewusst: „Que O Apostolo os guie“, möge der Apostel euch führen! Führen, leiten, auf den restlichen Kilometern bis Santiago de Compostela. Dieser Wunsch hatte mich tief berührt und mit diesem Wunsch wurden wir nun von der Küstenregion ins Landesinnere bis zu unserem Ziel verabschiedet.
Führung und Schutz auf einem unbekannten Weg, heute wie damals von großer Wichtigkeit. Im Mittelalter schützen Ritterorden die Pilger und ihre Pfade vor Gefahren. Diese Rittermönche waren ganz nach dem Geschmack des Zisterzienserabtes Bernhard von Clairvaux. Die Novizen waren nach dem Profess, dem Ablegen der monastischen Gelübde den Ordensregeln verpflichtet und im Kampf ausgebildet. Geistliche Ritterorden wie der Calatravaorden, die Orden Alcántara und Avis und nicht zuletzt der Santiagoorden, all diese Ritterorden wurden im 12. Jahrhundert gegründet, um die iberische Halbinsel aus der muslimischen Herrschaft zu befreien. Einzig der Santiagoorden war nicht den Zisterziensern angegliedert, was in mancherlei Beziehung zu einem Sonderstatus innerhalb der geistlichen Ritterorden führte. Die Grenzen nach „Al-Andalus“, den muslimisch besetzen Gebieten zu sichern und die wiedergewonnenen Landstriche zu besiedeln, dies waren ursprünglich die Hauptaufgaben. Die iberischen Ritterorden bemühten sich außerdem um die Gefangenenfreilassungen und die Beibringung von Lösegeldern. Zunächst waren die Militärorden Spaniens ausschließlich zu diesem Zweck gegründet worden, späterhin kristallisierte sich der Gedanke des Schutzes und der Barmherzigkeit gegenüber den Pilgern und den Armen, Kranken und Aussätzigen heraus. Da machte es Sinn, dass der Orden, der als „Orden des heiligen Jakob vom Schwert“ gegründet worden war, für die Unterstützung der Jakobspilger zuständig war. Die Pfade waren unwegsam und einige mittelalterliche Zeitgenossen setzten sich über den geschützten Status der Pilger hinweg, es kam zu Raubüberfällen und Morden. Außerdem befand sich Spanien im Zustand der Rückeroberung ihrer Gebiete aus maurischer Herrschaft und somit war mit Kriegshandlungen zu rechnen.
R – wie Reisewege (Jakobspilger querfeldein)
Gereist sind die Menschen des Altertums und des Mittellalters eigentlich nur, wenn sie es mussten, so z. B., um neuen Lebensraum zu finden, als Händler, Krieger oder Missionar und Baumeister. Die meisten Menschen kamen üblicherweise nicht aus ihren Dörfern und Städten heraus, es sei denn, sie begaben sich auf eine Wallfahrt. So eine Wallfahrt war ein akzeptierter Reisegrund auch für Frauen. Reisen zu jenen Zeiten war immer ein gefährliches Unterfangen, für die Gesundheit und für Leib und Leben. Aus diesem Grund schlossen sich die Teilnehmer dieser Pilgerfahrten zu Gruppen zusammen, um von dem Wissen der erfahrenen Pilgerführer zu profitieren und in der Gruppe mehr Schutz vor Räubern und Wegelagerern zu haben. Überall in Europa gibt es Orte, an denen sich die Pilger versammelten, um dann gemeinsam ihr Unternehmen zu beginnen.
Durch Frankreich verlaufen vier historische Jakobswege, die sich in der Pyrenäenregion, auf französischem Gebiet, zu zwei Wegen vereinigen, dem aragonischen und dem navarrischen Weg. Diese beiden Wege verbinden sich auf spanischem Territorium, bei dem Städtchen Puente la Reina, zu dem historischen Weg, dem Camino Francés, der dann im Landesinneren bis nach Santiago de Compostela führt.
Die Via Podiensis ist der älteste Pilgerweg in Frankreich und beginnt in der Stadt Le-Puy-en-Velay. Diese Stadt war der Ausgangs- und Sammelpunkt für die mittelalterlichen Pilger, die aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kamen. Heute hat die Stadt Le-Puy-en-Velay ca. 20.000 Einwohner, liegt im südlichen Zentralmassiv, der Auvergne, auf 625 Höhenmetern in vulkanisch geprägter Landschaft. Diese Stadt wurde in eine wahrlich bizarre Landschaft gebaut, mit kegelförmigen Bergspitzen, auf diesen Basaltspitzen wurden Kirchen, Kapellen und Statuen gesetzt, die die heidnischen Heiligtümer verdrängten.