Ihr werdet Euch vielleicht fragen, was haben die Fischer mit Teppichen zu schaffen? Die einfache Antwort lautet, die wurden von ihnen hergestellt. Jedenfalls galt dies für die vorpommerschen Fischer am Greifswalder Bodden. Im Jahr 1928 erging ein dreijähriges Fischfangverbot. Es war unmöglich, die Fischerei auszuüben. Solche Maßnahmen kommen einem Berufsverbot gleich. Knapp hundert Jahre ist das nun her.
Der Landrat Werner Kogge machte aus der Not eine Tugend, denn das Netzeknüpfen und -flicken gehört zum Beruf. Er brauchte jemanden, der die Leute unterrichtet, um im Teppichknüpfen firm zu werden. So suchte er per Zeitungsanzeige einen Fachmann, der den Fischern den Lebensunterhalt in anderen Berufszweigen ermöglicht. Der österreichische Tapisserist Rudolf Stundl bekam den Zuschlag. Er brachte viel Berufserfahrung aus der Balkanregion und Osteuropa mit.
Orientalisch anmutende Muster sollten es nicht werden. So beflügelte die Meeresküste die Schöpfung der Motive. Stundl selbst und der Lehrer Erich Leie aus Lubmin schufen eine maritime Mustersprache für die Teppiche. Entlang der Küsten und besonders in den Dörfern Lubmin und Freest und auf der Insel Usedom entwarfen viele große und kleine Künstler die Vorlagen. Mein Vater Otto Kurzenberg, der von Erich Leie in Lubmin unterrichtet wurde, erzählte von Mädchen, die sich besonders kreativ hervortaten.
Nach dem Ende des Fangverbotes fuhren die Fischer wieder zur See und die Familien übernahmen die Teppichknüpferei in Heimarbeit. Eine Fischerfamilie wäre nie in der Lage gewesen, sich so einen erlesenen Teppich hinzulegen.
Die hochwertigen Erzeugnisse gingen gerne als Geschenke der Staatsführungen an auswärtige Gäste und an hochrangige Politiker. Das galt sowohl für das NS-Regime als auch für die DDR.
Die Beteiligten in der Teppichknüpferkunst organisierten sich in einer handwerklichen Produktionsgenossenschaft. Hier kommt der Bruder meines Vaters ins Spiel: Wilhelm Kurzenberg. Im war die Mitarbeit eine Herzensangelegenheit. Er entwarf Muster auf Millimeterpapier und knüpfte auch selber. Wir haben Fotos, wie er zur Ostseewoche 1958 in Rostock die Teppichknüpferei den Besuchern präsentierte. Es kam zum Streit, denn Rudolf Stundl um Fragen des Copyrights. Denn der vereinnahmte seine Entwürfe für die Volkskunst. Das wollte sich Onkel Willi nicht gefallen lassen. Das Zerwürfnis endete damit, dass man Willi aus der Produktionsgenossenschaft ausschloss. Es folglich keinerlei Materialien, wie die Schafwolle aus der Mongolei, für ihn gab. Wir haben ihn zwar aus dem Westen mit Wolle versorgt, aber die benötigte feste Struktur hatte diese nicht. Er arbeitete Buchhüllen (auf Stramin gestickt) und Sitzauflagen für Sessel.
Die „Freester Fischerteppiche“ waren ihm zeitlebens wichtig und er machte in seinem Skizzenbuch auch weiterhin Entwürfe. Leider, leider gingen nach seinem Tod 1988 diese Unterlagen verloren. Es wäre jammerschade, hätte die jemand vernichtet. Wir hoffen sehr, dass die noch irgendwo am unbekannten Ort existieren.
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